Mit dem Motorrad von der Schweiz via Sibirien nach Japan

"Höllenritt! Mit dem Töff in 52 Tagen nach Japan", lautete die Schlagzeile in der grössten Schweizer Tageszeitung "BLICK". Doch Mark und Anita Rytz schwächten ab: "Die Hölle war es nicht, aber 'Fegefeuer' kommt schon ganz gut hin"

Die Krönung von 25 Jahren Motorrad fahren

Zusammen waren die beiden mit einer BMW GS80 Paris-Dakar während 8 Wochen unterwegs. Die Reise führte von der Schweiz aus fast 13'000 km ostwärts durch Deutschland, Tschechien, Polen, Ukraine, Russland, Kasachstan und Sibirien bis nach Wladiwostok. Von da aus gings mit dem Schiff zum Reiseziel Japan

Ein Traum

Mark hatte seit er 18 Jahre alt war einen Traum, mit dem Motorrad von der Schweiz via Sibirien nach Japan zu fahren. Was jahrelang wegen dem "kalten Krieg" unmöglich war, bekam 1990 realistische Züge. Nach einer ersten Testfahrt 1990 nach Moskau bekam der alte Traum wieder neue Nahrung. Der feste Wille, etwas Besonderes zu erleben, hat nach 25 Jahren aus einer Idee endlich Wirklichkeit werden lassen, hat aus einem Traum zeitweise einen Alptraum gemacht.

Die Vorbereitungen waren enorm. Während 4 Jahren wurde russisch gelernt, ein spezieller Bekanntenkreis aufgebaut, ein geeignetes Motorrad und eine leistungsfähige Videoanlage gekauft, jede Menge Bücher gelesen und keine Fernsehsendung über das unbekannte Riesenland verpasst. In Krasnojarsk wurde mit Hilfe russischer Freunde ein "Basislager" mit Ersatzteilen, Reifen und vielen anderen Nützlichkeiten aufgebaut. BMW-(Schweiz) AG stand mit technischer und moralischer Unterstützung Pate. Auch BMW (Japan) Corp. war im Notfall alarmbereit um Hilfe zu leisten. Gesamthaft wurden von den Reisenden fast 60'000 Franken in diese einmalige Reise investiert.

Für unseren "Weltenbummler auf zwei Rädern" aus der Schweiz war dies nicht die erste Reise mit dem Motorrad. Weite Teile Nordafrikas, der Orient, kreuz und quer durch ganz Europa, USA und Canada waren bisherige Destinationen. Die meisten Reisen hat er im Alleingang oder zusammen mit seiner Gattin unternommen. Viele davon mit BMW-Motorräder.

Ohne Pannen und Unfälle

Es gab Tage, an denen das Trio für 400 Kilometer bis 15 Stunden unterwegs war. Faustgrosser Rollschotter, holprige Steppenpisten, aalglatte nasse Strassen, und ungezählte Löcher jeder Grössenordnung stellten hohe Ansprüche an Mensch, Material und die Schutzengel. Dennoch verlief die ganze Reise krankheits- und unfallfrei: "Bis auf zwei Kopfwehtabletten blieb die Reiseapotheke unberührt"

.Auch die 800-er-BMW-Geländemaschine hielt durch. Zwei Sätz Pneus, zwei Rücklichtlampen und ein Stossdämpfer mussten ersetzt werden.

Einziger Frust: Die Ausreise nach China wurde den Reisenden (trotz gültiger Visas!) von den russischen Grenztruppen verwehrt. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als beschwerliche 510 Km zurück nach Tschita zu fahren und dasMotorrad auf die "Transsib" zu laden. Während 50 Stunden mussten sie die Mandschurei mit der Eisenbahn umfahren. In dieser Gegend gibt es in der eisfreien Zeit absolut keine Verbindungswege mehr. Nach diesem Trip wirkte der Rückflug via London nach Zürich direkt erholsam. Ihren besten "Kumpel" liessen sie im Eintausch gegen Yen schweren Herzens in Tokyo zurück. Das Motorrad steht jetzt in der Präsentationshalle von BMW-(Japan) Corp. und wird an der nächsten Tokyo-Motor-Show den BMW-Stand zieren.

Ob sich der Einsatz gelohnt hat, erzählt uns Mark Rytz anhand der "Königsetappe" zwischen Omsk und Novosibirsk

Aus dem Reise-Tagebuch

"Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, hinter dem Ural zu sein. Endlose Weite, grüne Felder, rauschende Birken, Natur pur und verseuchte Gegenden reichen einander die Hand. Viele Strassenabschnitte ohne Asphalt, Regen und schwere Gewitter, enorme Hitze bis 40º, alle Arten von Insekten und die staunenden Blicke der Leute waren unsere Begleiter.

Wir schreiben den 6. Juli 1994. Nach ein paar erholsamen Stunden mit einem Flussschiff auf dem Irtys bei Omsk, steht heute die "Königsetappe" auf dem Programm. Schon vor 2 Tagen bezw. vor 850 Km wurden wir von den Schwierigkeiten dieser Strecke gewarnt. Da wir inzwischen gelernt haben, nicht jedem zu trauen erkundigen wir uns in Omsk intensiv über die Strassenverhältnisse nach Novosibirsk. Wir wissen nicht mehr, wieviele Leute wir gefragte haben, eines ist klar: es gibt keine zwei gleiche Antworten. Also bleibt uns gar nichts anderes übrig als zu pokern.

Nun fahren wir schon seit sechs Stunden, auf dem Tachometer stehen erst knapp 250 Kilometer. Die Müdigkeit schickt die ersten Signale und dann geht es an einer Abzweigung nicht mehr weiter. Welche Richtung ist die Richtige? Das Herz sagt nach links, die Spuren führen nach rechts und der Verstand sagt: "Halt, warten!" Guter Rat ist teuer! Schweisstropfen kitzeln in den Augenbrauen und rinnen Richtung linkes Auge. Endlose Steppe und weit und breit ist niemand zu sehen. Bevor wir auf gut Glück weiter fahren warten wir auf die Erleuchtung. Nach einer gewissen Zeit sehen wir in der Ferne die Staubwolke von einem Pferd. Das Getrampel der Hufe wird lauter und bald sind Pferd und Reiter bei uns angelangt. Es ist ein Kosake. Die verwunderten Blicke gründen auf Gegenseitigkeit. Jeder ist vom anderen beeindruckt. Ein paar herzliche Worte, ein kleiner Geschenketausch, ein fester Händedruck und ein klares Handzeichen Richtung Osten beenden die kurze Freundschaft. Unsere Wege trennen sich wieder, der Kosake stiebt mit seinem Pferd davon und wir geben unseren 50 Rösslein die Sporen.

Endlich eine Tankstelle! Anita geht wie üblich zur Kasse. Es muss fast immer zuerst ausgehandelt werden, wieviel man tanken kann, und natürlich nur gegen Vorkasse. Zwei Frauen hinter einer kleinen Luke schauen Anita böse an und fauchen: "Njet Benzin!". Bis zur nächsten Tankstelle reicht unser Sprit nicht mehr. Es ist also wieder einmal Diplomatie angesagt, Anitas Spezialdisziplin. Das Ergebnis der ersten Verhandlungsrunde sind 5 Liter des köstlichen Saftes. Das Ergebnis der zweiten Verhandlungsrunde sind weitere 10 Liter. Jetzt kommt der Endspurt. Anita versucht mit viel Geduld und Charme die gefrorenen Herzen der beiden Drachen aufzuwärmen. Diese Unterhaltung scheint den Damen zu gefallen, denn auf einmal erhalten wir die Erlaubnis zum Volltanken, als wenn es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre.

Wir sind jetzt schon 12 Stunden unterwegs, fahren bereits im eigenen Schatten und haben knapp die Hälfte der 740 Km langen Etappe hinter uns. Novosibirsk noch heute zu erreichen ist absolut unmöglich. Da kommt uns Kuibysev wie gerufen. Wir überlegen nicht lange was zu tun ist. Rein in die Stadt und ein Bett suchen! Es dauert nicht lange bis wir in der kleinen, 50'000-köpfigen Stadt das Hotel gefunden haben. Eine kalte Dusche bringt uns einen Teil der Lebensgeister wieder zurück. Mit dem Essen gibt es wesentlich mehr Probleme. Wir haben Glück und finden unsere tägliche Ration Gurken, Tomaten, Kartoffeln und sogar ein Stück "tierisches Eiweiss", das man uns als Rindfleisch zu erkennen gibt. Mit gestilltem Hunger und völlig abgekämpft legen wir unsere geschundenen Knochen sorgsam auf dem Bett nieder und schliessen die Augen.

Der nächste Tag verläuft ähnlich. Glücklicherweise ist es seit Wochen heiss und trocken. Regen und Nässe würde ein Durchkommen unmöglich machen. Unser Entschluss, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit einen Helikopter zu chartern steht fest. Aber die Hoffnung, einen Flugplatz zu finden, wird mit jedem Kilometer dieser fürchterlichen Strecke kleiner. Nicht einmal die Armee hat hier eine Basis. Wir kämpfen uns Meter für Meter vorwärts, Anita sogar öfters zu Fuss. Am späten Nachmittag kommt Stimmung auf. Wir biegen in eine asphaltierte Strasse ein. Es ist geschafft!! Ist es wirklich geschafft? Mitnichten!!! Nach wenigen Kilometern fliegt uns bei ca. 110 Km/h eine Krähe in das Motorrad hinein. Es knallt am Rückspiegel, Blut spritzt und Federn fliegen um den Helm aber es gelingt uns trotz eingeschränkter Sicht den Kurs zu halten und sicher zum Stehen zu kommen. Dass es sich dabei nicht um einen Glücksraben, sondern um einen Pechvogel handelt, erfahren wir kurze Zeit später. Kaum wieder richtig in Fahrt, knallt es schon wieder! Nur diesmal unter dem Vorderrad. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit und schon sind wir mit derselben Geschwindigkeit auf eine Flasche gefahren. Mit viel Mühe und Glück gelingt es den Motorrad ohne Sturz zum Stehen zu bringen. Bei über 40º ist jetzt Reifenflicken angesagt. Uiii, das macht Spass!!

In der Ferne ist Novosibirsk zu erkennen. Wir sind am Ziel der "Königsetappe", aber noch lange nicht am Ende dieses aufregenden Tages. Der tägliche Check-up zeigt ein furchterregendes Bild. Der hintere Reifen hat grosse Risse. Die Profilblöcke lösen sich und die Karkasse liegt offen. Aber das ist eine andere, spannende Geschichte....."

Fassen wir zusammen

Es war ein ungeheuer intensives Erlebnis. Im Rückblick überwiegen die positiven Eindrücke. Dennoch wären wir um keinen Preis wieder zurückgefahren", zieht unser Abenteurer Bilanz. Auf die Frage, welches das nächste Reiseprojekt ist, antwortet Mark Rytz nicht gerade überzeugend: "Dies war meine letzte Reise mit dem Motorrad". Einschränkend fügt er aber mit leicht verklärten Augen hinzu: "Das einzig was mich nochmals hinter dem Ofen hervorlocken könnte, wäre eine Motorradreise von Anchorage in Alaska nach Ushuaia auf Feuerland."